Zeitreise nach Cesenatico zum Granfondo Nove Colli

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Es dĂŒrfte so ungefĂ€hr im GrĂŒndungsjahr 1971 des „Nove Colli“ gewesen sein, dass ich als Steppke auf der RĂŒckbank des elterlichen Opel Rekords zum ersten Mal an die italienische Adria fuhr. Mit Betreten des Hotelzimmers in Cesenatico kamen viele verschĂŒttete Erinnerungen wieder hoch, da dort offenbar die Zeit stehengeblieben ist: Möbel und Tapeten genau wie damals, ein Mini-Balkon in Richtung Hinterhof, im Flur vergilbte Fotos von schnauzbĂ€rtigen Fußballmannschaften und Radfahrern, die alle nach Fausto Coppi aussahen, im Bad das alte PhĂ€nomen, dass nach dem Duschen alles (samt Klopapier) schön eingeweicht war. Giovanni („… du kannst mich auch Hans nennen…“), der Hotelier, der mir noch recht kurzfristig einen Startplatz besorgt hatte, war dagegen ein echter Goldschatz, der vieles wieder wettmachte. Am Strand dieselbe gruselige Aneinanderreihung von Liegen, Schirmen, Kiosken mit Strandzubehör, BademeisterhĂŒtten wie bereits frĂŒher – kilometerlang von Lido die Ravenna bis Cabbicce Mare. Nur diesmal ohne Teutonen. Die kommen wohl erst spĂ€ter im Jahr.
In Cesenatico gibt es noch eine weitere Zeitebene der Vergangenheit. Sehr vieles dreht sich um den bekanntesten Sohn der Stadt, Marco Pantani. Es gibt ein Pantani-Museum, eine Pantani-Statue und in jeder zweiten Kneipe hĂ€ngen Erinnerungsfotos, Widmungen und andere Devotionalien von ihm. Was Elvis fĂŒr Memphis ist, ist Pantani fĂŒr Cesenatico.
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Der Granfondo Nove Colli, der mich die Reise durch Norditalien nach einigen landschaftlichen und kulturellen Highlights (Dolomiten, Brixen, Bozen, Gardasee, Venedig, Ferrara, Ravenna, San Marino) an diesem, nun ja, auf den ersten Blick eher wenig ansprechenden Ort beenden ließ, ist schon speziell. Bereits Wochen vor der Aufnahme in die Startliste war ein sportĂ€rztliches Unbedenklichkeitsattest und eine eigenhĂ€ndig unterschriebene Anti-Doping-ErklĂ€rung notwendig, wohingegen bei der Abholung der Startnummern keiner auch nur einen IdentitĂ€tsnachweis sehen wollte. Die Veranstaltung ist ganz fest in italienischer Hand, unter den 13000 Startern befanden sich ein paar Österreicher, HollĂ€nder, Deutsche und Amerikaner, aber die machten gefĂŒhlt nur 10% aus. Wer seine Italienisch-Kenntnisse bisher aus Spliffs „Carbonara“ bezog, lernte unweigerlich weitere Vokabeln dazu. „Attenzione a destra“ (Achtung, von rechts kommt was), „attenzione a sinistra“ (Achtung, von links kommt was), „sali“ (MineralgetrĂ€nk) usw. Allerdings sind die Italiener auch nicht mehr das, was sie mal waren. Von wegen „bella macchina“ und „bella figura“. Klar waren einige Pinarello, Colnago, Bianchi und De Rosa am Start. Aber die Mehrheit aus dem Land der Hochkultur des Rahmenbaus fĂ€hrt inzwischen Trek, Cannondale, Scott und – wer hĂ€tte es gedacht – Canyon. Dass fĂŒr italienische MĂ€nner Rosa eine mehr als akzeptable Trikotfarbe ist, war mir bekannt, aber in Kombination mit unterschiedlich neonfarbigen Hosen, Schuhen und Socken finde ich das gewöhnungsbedĂŒrftig. Der erste Nicht-Italiener, der den Nove Colli gewann (2012), ist ĂŒbrigens ein gewisser Bernd Hornetz aus Forchheim.
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Nach dem Start gab es aufgrund der riesigen Teilnehmerzahl erst einmal stockenden Verkehr, der zeitweise bis zum zweiten der neun Berge auftrat. Eilig durfte man es also nicht haben bzw. wenn, dann war es nicht ungefĂ€hrlich, schnell durch die Menge zu kommen. Die oft engen und schlechten StraßenverhĂ€ltnisse taten ihr Übriges dazu, dass am Straßenrand recht hĂ€ufig Verletzte zu sehen waren, die auf SanitĂ€ter warteten. Ein Höhepunkt war ungefĂ€hr bei Kilometer 100 ein wirklich alter, sehr hagerer Teilnehmer, ich schĂ€tze ihn auf 80 – 85, der offensichtlich seine ZĂ€hne zu Hause im Wasserglas gelassen hatte, vielleicht um Gewicht zu sparen. Er fuhr einen alten Stahlrenner mit Rahmenschalthebeln und trat, HĂ€nde am Unterlenker, stehend eine ziemlich schwere Übersetzung dauerhaft den Berg hinauf. Seine ĂŒbrige Ausstattung (Wolltrikot, Riemenpedale) passte zur restlichen Aufmachung. Keine Ahnung, wie er es geschafft hatte, zu diesem Zeitpunkt noch vor uns zu sein. Vielleicht doch Fausto Coppi, der in Wirklichkeit noch lebt und vom Veranstalter aus Marketing-GrĂŒnden auf halber Strecke ausgesetzt wurde?
Die Versorgung rund um den Marathon war bemerkenswert gut. Es gab viele Mechanikerstationen und so viele Verpflegungsstellen mit Kuchen, belegten Brötchen, Ravioli etc., dass ich keinen einzigen Riegel und kein Gel anfassen musste (und auch garantiert kein Gramm abgenommen habe).
Dachte ich wĂ€hrend des unfreiwilligen Bummeltempos zu Beginn und der ersten drei relativ harmlosen Anstiege noch, dass es eine recht gemĂŒtliche Fahrt wĂŒrde, Ă€nderte sich dies mit steigender Hitze und zunehmenden Kilometern. Obwohl keiner der Berge ĂŒber 800 m hoch ist, gibt es doch etliche fiese lĂ€ngere Rampen mit 17 -18 Prozent. Der letzte der neun Anstiege hat dann ganz am Ende vor der letzten Kuppe noch einen letzten langen Hochprozenter, bei dem einige kapitulierten und per pedes oben ankamen. Das haben sich die Organisatoren sehr schön ausgedacht! Hier zahlte sich die vorher montierte 34-28 Übersetzung aus. Dem Erfinder der Compactkurbel werde ich bei Gelegenheit mal einen ausgeben…..
Die wirklich superschöne Landschaft des Apennins mit zahlreichen Burgen und verschlafenen, alten StĂ€dtchen konnte fĂŒr die Scheußlichkeiten an der KĂŒste entschĂ€digen, wenn man trotz der schlechten StraßenverhĂ€ltnisse und der vielen Mitradler Blicke fĂŒr sie ĂŒbrig hatte.
Die letzten 25 -30 Kilometer gingen dann eben und streckenweise leicht bergab zurĂŒck nach Cesenatico. Vom dichten Feld zu Tagesbeginn war nun nichts mehr zu sehen. Die paar verstreuten EinzelkĂ€mpfer, die sich vor mir tummelten, wollten sich nicht zu einer gemeinsamen schnellen Fahrt ins Ziel animieren lassen, so dass ich nach 208 Kilometern und 3800 Höhenmetern ziemlich alleine in Richtung Ziel, Finisher-Trikot, Medallie und Pasta-Party fahren musste.
Der Sieger Igor Zanetti brauchte fĂŒr die Strecke rund 3 Stunden weniger. Er hielt aber sicher nicht an jeder Verpflegungsstation 😉
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